In die Nacht hinein Black Pages Banner
Alex "Sal" Luerken <s.a.l.@usa.net> https://members.tripod.com/~Barogue)posted 30.01.98

Kapitel 1

Er wälzte sich zur anderen Seite. Das Rascheln der Bettdecke raubte ihm den letzten Nerv. Wie er es haßte, nicht schlafen zu können. Er richtete sich auf und starrte die LCD-Anzeige des Telekoms an.

02:57:55
02:57:56
02:57:57
02:57:58
02:57:59
02:58:00

Er zählte die Sekunden. Eins. Zwei. Verdammt. Er wußte, daß er morgen einen extrem harten Tag in der Schule haben würde. Auch mit genug Schlaf waren die Unterrichtsstunden in Geschichte Frankreichs im 19.
Jahrhundert eine nie endenwollende Qual. Er würde selig einschlafen. Wieder einmal. Mitten im Unterricht. Er wälzte sich zur anderen Seite. Er zählte Schäfchen. Doch jedesmal, wenn er den Zaun und ein Schaf vor Augen hatte, erlosch sein Traumgebilde und der Gedanke nicht Schlafen zu können, riß ihn aus der auftauchenden Müdigkeit zurück.
Draußen fuhren die Autos unter seinem Schlafzimmerfenster vorbei. Gelegentlich drang das Knallen eines Schusses oder die Sirene eines Lone Star - Wagens durch das Thermoglas . Dick Mitchell konnte nicht schlafen.
Er schloß die Augen erneut, lauschte auf seinen Atem.
Einatmen.
Ausatmen.
Einatmen.
Ausatmen.
Er gähnte. Langsam spürte er, wie die Müdigkeit ihn in seine Arme schloß und immer tiefer in die Kissen sog. Er rollte sich in seine warme Bettdecke ein und ............

Bäng !!

Kerzengerade schreckte er aus dem Bett hoch. Was war das? Ein Schuß? Es kam von unten, aus dem Erdgeschoß. Vorsichtig, darauf achtend leise zu sein, schälte er sich aus der Bettdecke und schlich zur Zimmertür. Unten waren Schritte zu hören. Er griff sich seinen Baseballschläger und öffnete leise die Tür. Wie in einem Traum, es war ein Traum, da war er sich ziemlich sicher, tappte er im Dunkeln durch den Flur. Ein Schrei. Seine Mutter. Deutlich konnte er die Verzweiflung in ihrer Stimme mitschwingen hören.
"Laßt unseren Sohn in Ruhe, ihr Schweine", und dann ein klatschendes Geräusch und das dumpfe Aufschlagen eines Körpers auf den Teppichboden.
Er schlich weiter. Deutlich nahm er die Schritte wahr, die ihm entgegen die Treppe hinaufkamen. Er wich den knarrenden Dielen aus und ging weiter.
Es waren keine fünf Meter bis zur Treppe nach unten. Auf nackten Sohlen schlich er Schritt um Schritt zum Treppenabsatz. Eine schwarze Gestalt richtete sich vor ihm aus dem Nichts auf. Ihre Augen waren grünlich schimmernde Kreise und er nahm ein gedämpftes Röcheln wahr. Ein roter Strahl schnitt durch die Dunkelheit, richtet sich auf ihn und wanderte von seiner Brust über die Flurwände. Sie kam näher.
Er war starr vor Angst, unfähig einen weiteren Schritt zu gehen oder sich Hals über Kopf in Sicherheit zu bringen. Die schwarze Gestalt war nur noch wenige Meter entfernt. Vier Meter. Drei Meter. Warum sah sie ihn nicht.
Er spürte wie kleine Schweißperlen in seine Augenbrauen flossen und brennend in seine Augen strömten.
Ich bin tot. Sie wird mich töten und mein Blut wird das Einzige sein, was in einen häßlich, rotem Fleck auf dem Fußboden von mir übrig bleiben wird. Eine weiße Linie wird meine Umrisse wiedergeben und das war’s. Nichts mehr. Nie mehr.

Sie kam näher und ging an ihm vorbei. Wie durch einen dicken Nebel sah er, wie sie seine Tür vorsichtig öffnete und wie eine kleine Feuerzunge begleitet von vier leisen Plops aus dem Arm der Gestalt stieß.

"Hier oben ist alles klar. Objekt Drei terminiert. Komme runter, Sergeant Eller."

Er zitterte.
Schwitzte.
Es waren noch mehr Gestalten im Haus. Er schlich weiter bis zum Treppenansatz und schaute ins darunterliegende Wohnzimmer.
Die Gestalt kam aus seinem Zimmer zurück. Wieder spürte er wie sie auf ihn zukam. Näher und näher. Und an ihm vorbeiging. Die Treppe knarrte unter dem Gewicht des Körpers.

Sie standen bei der Sitzecke im Wohnzimmer. Vier Gestalten. Alle in schwarz und auf einmal sah er, das es sich nicht um irgendwelche Hirngespinste seiner jugendlichen Phantasie handelte, sondern es eindeutig Menschen waren.
Sie trugen alle schwarz. Er hatte solche Kleidung schon in zahlreichen Actiontrids gesehen, doch so etwas in der Realität, keine fünf Meter vor Augen zu haben, machte ihm mehr Angst, als er vertragen konnte.

Dann erblickte er seine Eltern. Sie waren noch in ihren Schlafanzügen. Sein Vater blutete an der Schulter und seine Mutter schluchzte. Sie knieten vor den Gestalten, die Hände ihm Nacken.
Eine, der schwarzen Gestalten, zog sich langsam die schwarze Wollmaske vom Gesicht und er hätte beinahe laut geschrien.
Devon Chandler. Der Partner seines Vaters. Der ihm zu Weihnachten immer die teuersten und größten Geschenke gemacht hatte. Sein Patenonkel. Der beste Freund seines Vaters.
Er zog eine klobige Pistole aus seiner Weste. Sein Vater starrte ihn nur fassungslos an. Entsetzen stand mit großen Buchstaben in sein Gesicht geschrieben, gepaart mit der Erkenntnis verraten worden zu sein.

Er sah, wie sich die Worte auf den Lippen seines Vaters formten.
"Chandler, Du Schwein."

Er schoß.

Der Kopf ruckte zur Seite und eine rote Wolke aus Blut und Gewebe hüllte seine Mutter ein. Sie schrie auf und Chandler setzte ihr die Pistole an den Kopf. Ein erneuter Knall klingelte in seinen Ohren. Ihr Körper sackte zusammen.

Chandler und seine Kumpanen verließen das Haus. Sie ließen die Leichen achtlos liegen. Mit Entsetzten nahm er wahr wie Chandler sich noch einmal kurz umdrehte und ein kleines Päckchen in das Wohnzimmer warf. Nur zu deutlich sah er die LCD-Anzeige. Er rannte in sein Zimmer, riß ein paar Sachen aus seinem Schrank, stopfte sie in seinen Rucksack. Danach lief er nach unten in das Schlafzimmer seiner Eltern, durchwühlte die Kommode und fand schließlich die Pistole. Er steckte sie zusammen mit den Kredstäben und einigem Bargeld in seinen Rucksack. Und rannte.
Im Vorbeilaufen sah er die Sekundenanzeige des kleinen Päckchens blinken.

00:06

00:05

Er rannte und rannte. Aus der Tür hinaus, über den Hof, wo er mit seinem Vater immer Basketball gespielt hatte.

Eine heiße Wolke schloß ihn ein, riß ihn in die Luft und schleuderte ihn in die Hecke der Wilsons. Er rappelte sich auf und lief weiter.
Die Nacht war taghell. Sein Elternhaus brannte lichterloh.

Dick Mitchell war allein.