Powergaming | |
Alex "Sal" Luerken <s.a.l.@gmx.net> | https://members.tripod.com/~Barogue)posted 30.04.98 |
In letzter Zeit scheint dieses Thema eines der beliebtesten in jeder nur erdenklichen Newsgroup zu sein, sehr viele verschiedene Leute mit viel verschiedeneren Meinungen werfen sich gegenseitig schmächlichste Beleidigungen an den Kopf, wie positiv bzw. wie negativ Powergaming doch sei, das es ohne bzw. mit Powergaming keinen oder erst dann Spaß machen würde etc. etc.. Eigentlich keine große Hilfe eine Entscheidung zu treffen, was von beidem das Gelbe vom Ei sein soll.
Als weiteres drängt sich die Frage auf, wo Powergaming anfängt und wo die Grenzen liegen, um nicht die Welt
mit Supercharakteren zu bevölkern. Schließlich sind solche Individuen selbst in unserer Zeit rar gesät, die Ernte
2060 wird nicht viel besser sein. Ist ein Sammy mit Reflexboostern III (Delta) und Kunstmuskeln IV (Delta) usw.
ein klassischer Fall eines Powergamers oder einfach ein verdammt schneller und kräftiger Kerl, der mit seiner
Plempe umzugehen versteht? Die Übergänge sind fließend.
Powergaming fängt für mich dort an, wo Spieler versuchen mit den Zahlen herumzubasteln, um jeden
erdenklichen Vorteil aus den bestehenden Regeln zu ziehen. Was soll ein Sammy mit Intelligenz 6 und einem
Enzephalon IV. Der gute Mann ist dafür da, um schwere Waffen mit sich herumzuschleppen und im Kugelhagel
eine gute Figur zu machen, damit seine Kumpels ihr heiß begehrtes Ziel erreichen. Die potentielle Gefahr, die
er für die Gegenpartei darstellen sollte, ist nicht seine herausragende Intelligenz oder das, was in seiner Birne
steckt, sondern pure Gewalt und die Möglichkeit eine Konfrontation zu überstehen. Also, wofür das Enzephalon.
Nichts dagegen einzuwenden, daß er ein kluger Kopf ist und schnell und analytisch denken kann, aber ein kleines, unterschwelliges Schreien drängt sich mir bei dieser Kombination auf, die da lautet: "Reaktion +1, Reaktion +1, Reaktion +1".
Ich frage mich woher diese Stimme nur kommen mag.
Es gibt erdenklich viele weitere Möglichkeiten seinem Charakter den nötigen, kleinen "Punkteschinderschub" zu geben, auf weitere Beispiele möchte ich jedoch gerne verzichten; findet es selber heraus.
Ein weiterer Aspekt, der gerne mit Powergaming in Zusammenhang gebracht wird (denn ich übrigens arg
damit in Zusammenhang bringe), sind Ersatzglieder. Wenn ich je einen Charakter mit mehreren Ersatzgliedern
zu Augen bekommen würde, ich glaube ich würde anfangen, mich vor Lachen auf dem Boden zu wälzen und
wenige Augenblicke später der entsprechenden Person den Charakterbogen aus der Hand reißen, bis fünf
zählend auf eine Erklärung seinerseits warten und sein Datenblatt in den Hades oder seinen Hintern schieben.
Mir fallen nun einmal nur ein paar wenige Aspekte ein warum ein Charakter oder eine Person sich freiwillig die
Arme oder Beine abhacken lassen würde und zu seinem Doc sagt:"Hey, Du, schneid’ mir den Arm ab, ich will
Metall dafür haben."
Welcher noch nicht ganz im Brägen klarer Mensch oder Metamensch macht so etwas freiwillig (los, ihr Cyborgs
stürmt meine Wohnung und fügt mich der gerechten Strafe dieser Frevelei wegen zu). Läßt sich die Arme
abhacken. Ist das Gefühl gefühllos zu sein, so ein Wunderbares? Wohl kaum. In der stillen Nacht, die Servos
leise surren zu hören, das angenehme Kältegefühl im Arm, wenn die Temperatur unter Null sinkt oder einmal
wieder einem Bekannten die Hand gebrochen zu haben, da man seine Kräfte nicht ganz unter Kontrolle hatte.
Wirklich ein vortreffliches Leben und eine eindeutige Bereicherung.
Gut, es gibt Situationen oder Erklärungen, die ich für gerechtfertigt halte. Zum Beispiel hat bzw. hatte einer der
Charaktere in meiner momentanen Gruppe zu Spielbeginn bereits zwei Cyberbeine. Die Beine wurden ihm bei
einem Flugzeugabsturz abgetrennt und konnten nicht durch geklontes Material wieder ersetzt werden, was blieb
ihm da anderes übrig. Entweder ein Leben lang im Rollstuhl sitzen oder Chromfroschschenkel?
Die Beine waren unmodifiziert, also keine zusätzliche Stärke, Schnelligkeit oder so etwas. Reine, pure
Cyberbeine.
Hätte er irgendwann einmal den Nutzen dieser Beine eingesehen oder sich mit deren Existenz abgefunden,
Chino (möge er in Frieden ruhen, wo immer er auch sei) wäre sicherlich zu dem Schluß gekommen, daß eine
kleine Modifikation ihm mehr Nützen als Schaden würde. Doch dazu kam es niemals, denn als er aufgrund
eines ziemlich fetten Deals nach Chiba kam, offenbarte im der dortige Chefarzt, daß man seine Beine
wiederherstellen könnte. Und zu meiner völligen Verblüffung, zumindest just in diesem Moment, schlug Chino
ein und die Klonung seiner Beine wurde wenige Stunden später in Angriff genommen.
Cybermodifikationen machen keinen Charakter. Die Möglichkeiten eines Charakters erheben sich nicht aus der Vielfalt seiner Modifikationen, sondern aus der Art und Weise wie der Spieler den Charakter durch das Universum führt. Sicherlich mit Konstitution 28 muß man wesentlich weniger Vorsicht zeigen, wenn man einen Panzer stoppen möchte (mit seiner Streetline ?!?!), ein kleiner Manaball wird dem Armen jedoch, genauso schnell den Brägen braten. Was nützen im die Modifikatoren dann? Nix.
Der letzte Punkt in meiner Definition der lieben Möglichkeiten ist, das Phänomen alles können zu wollen. For
sure, ich wäre auch gerne in der Lage endlich mal schneller tippen zu können, als ich denken kann. Dann hätte
ich wesentlich weniger Zeit auf die Korrektur meiner Artikel verschwenden müssen. Aber niemand ist perfekt,
nicht einmal ich.
Ergo, warum in drei Gottes sollte ein Shadowrun-Charakter perfekt sein. Warum immer diese
Schamanenmagierkiadeptenbeschwörersamuraideckerriggerschwachmatten? Was bringt daran Spaß alles zu
können, abgesehen davon wie der liebe Magier mit den drei Parallelwelten klarkommen möchte, schließlich
brechen Astralraum, virtuelle Realität und das Riggerinterface wie eine Lawine auf ihn ein.
Die genanntern sind Archetypen, die einzeln oder höchstens in einer Kombination von zwei Typen
zusammenstehen sollten.
Dieser Punkt ist eigentlich das Schlimmste, was ein Spieler seinem Charakter antun kann. Es nimmt ihm die
Möglichkeit überhaupt einen Charakter zu entwickeln, ich meine hier nicht die niedlichen Zahlen auf diesem
merkwürdigen Blatt Papier, sondern den richtigen Charakter, den jeder Spieler seiner Figur in der Welt
einhauchen sollte.
Zuviel zur Definition, kommen wir zu den Dingen, die meiner Ansicht nach hart an der Grenze oder fernab des
Ganzen liegen. Powergaming hat für mich nichts mit Charakteren zu tun wie Harlequin, Sally Tsung, Dodger
oder ähnlich schillernden Charakteren, die FASA uns zu fressen gibt. Dies sind ganz einfach Charaktere, die in
ihrem Bereich brillieren, zur Creme de la Creme gehören. Toprunner. Und als solche sollten sie behandelt
werden.
Ein Charakter sollte reifen wie ein guter Wein, nach und nach seine Ecken und Kanten entwickeln und zum
Ende seiner Laufbahn ähnlich einer lebendigen Persönlichkeit sein.
Und hier setzt mein Kritikpunkt ein, überhaupt Powergaming zu betreiben.
Wem es spaßt macht, weiterhin viel Spaß euch allen.
Aber meinen Wohlgefallen finden eher Charakter, die sich ihren Weg in endlosen schlaflosen Nächten des
Spielens nach oben gekämpft haben und wissen, was sie tun und warum sie überhaupt etwas tun, das sie für
einige Jahrtausende hinter schwedische Gardinen oder auf den Stuhl bringen würde. So ein Toprunner entsteht
meiner Meinung nach, nicht in ein paar Stunden mühsamer Zahlenrechnerei und durch Blättern in
verschiedenen Quellenbüchern, er entsteht während des Spiels.
Neueinsteiger in die Shadowrunwelt tendieren, glaube ich am häufigsten dazu, sich derartige Charakter in ihren
Gedanken auszumalen, einfach aus dem Grunde heraus etwas besonderes spielen zu wollen oder um mit den
erfahrenen Leute mithalten zu können. Doch bei Shadowrun geht man bekanntlich nicht unter, wenn man wenig
Würfel auf Feuerwaffen hat, sondern wenn man sich einer Panther in den Weg stellt.
(Übrigens niemand aus meiner Gruppe außer einem Troll, den ich dazu angestachelt habe, hat je nach einer
Panther gefragt, faszinierend, oder ?)
Ich, für meinen Teil, habe es schon einmal mit meinen Leuten versucht eine regelrechte Powerkampagne aufzuziehen. Das Resultat war sehr ernüchternd, da keiner auch nur annähernd etwas mit seinem Charakter anzufangen wußte und keinen Plan hatte, wie er seine umfangreichen Ressourcen nutzen sollte. Die Kampagne ist dementsprechend sehr schnell in allgemeinem Wohlgefallen beendet und eine neue Kampagne mit wesentlich schwächeren Charakteren, sogenannten Newbies, ins Leben gerufen.
Gehabt euch wohl ihr, Powergamer, die ewig röhrende Gatling möge mit euch sein. POW