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Alex "Sal" Luerken <s.a.l.@gmx.net> https://members.tripod.com/~Barogue)posted 16.01.98

"Sein Blut spritzte in steten Pulsschlägen aus der schweren Halswunde, verzweifelt versuchte er mit seinen spastisch - zuckenden Händen, die Blutung zu stoppen, die Gewißheit vor Augen, daß niemand ihn mehr retten konnte. Sein Blickfeld verschwamm zu milchigem Weiß, er sah das Licht von dem so viele Chummer erzählt hatten, sah sein Leben in kleinen Filmfetzen an sich vorbeirauschen und spürte sein Herz rasen, daß erfolglos mehr und mehr Blut in Richtung Wunde pumpte. Sein Duster war mit einem blutroten Fleck gezeichnet, der an Größe zunahm. Er stolperte, brach zusammen, krampfhaft, bereit, die letzen Sekunden erwartend.

Aus.

Vorbei.

Exitus.

Flatline."

So oder ähnlich hat jeder SM den ein oder anderen Charakter in die Tiefen der Hölle verbannt, sein Antlitz von der Welt getilgt, in der, er so tapfer durch die Schatten gelaufen ist. Vielleicht war es sein Schicksal, vielleicht nur Pech oder der große allwissende SM (der, der hinter dem Schirm sitzt) hat beschlossen, ihn in den großen Ordner zu rufen, wo alle Shadowrunner einmal enden werden, ob sie wollen oder nicht.

Doch was bedeutet der Tod eigentlich. Ich habe zu oft erlebt, wie meine und andere Spieler mit ihren Charakteren nach dem Tod eines langjährigen Freundes, eines Kumpels, der einem den Rücken freigehalten hat, einfach der Tagesordnung folgten, als ob nichts gewesen wäre. Kein richtiges Leben, keine Beerdigung, keine Trauer. Nichts. Nada. Warum haben sie entsprechender Person dann vorher vertraut, ihm geholfen und sich von ihm/ihr helfen lassen, wenn ihr Tod doch bedeutungslos ist. Ich verlange keine richtige Trauer, keine echten Tränen, aber eine kleine Anmerkung, wie sehr den Charakter, der Tod eines Kameraden getroffen hat, wäre alle mal drin.

Wir alle wissen, daß der Tod unausweichlich ist, und für jeden einmal die Stunde schlägt, wo der Sensenmann an unsere Tür klopft und meint er hätte einen Termin (mein Terminkalender ist dafür allerdings viel zu voll). Oder wie sehr bewegt uns der Tod einer Person, die wir kannten oder, die uns etwas bedeutet hat. In solchen Situationen geht keiner von uns seinem weiterem Tagesablauf nach und denkt sich, wird schon wieder. Man nehme nur einmal Prinzessin Diana als Beispiel. Wie sehr hat ihr Tod Massen von Menschen auf der ganzen Welt bewegt, abgesehen vom horrender Kommerzspekulation und der Abzockerei, die aus ihrem Tod gemacht wurde. Ich möchte mich nicht anmaßen, zu behaupten, daß der Tod eines Charakters, der selbe Respekt gebührt oder die gleichen Wellen schlagen sollte (das Fernsehen würde es zwar gut vermarkten können), aber ein bißchen Trauer sollte schon an den Tag gelegt werden. Es sei denn, die Spieler und ihre Charaktere (die, die sie spielen) sind bereits so verroht und abgestumpft, daß ihnen alles Übel den Shadowrunwelt nichts mehr anhaben kann. Daß Erdbeben an ihnen abprallen und der Weltuntergang auch nur eine andere Form von Entertainment ist.

So was würde ich einem Chirurgen oder einem Rettungssanitäter zubilligen, der fast täglich jemanden sterben sieht, und hilflos, ohne Aussicht auf Erfolg oder Rettung, daneben stehen muß, und mit ansieht, wie die Lichter ausgehen. Jedoch würde selbst eine Person dieser Berufsrichtung sich die Augen ausheulen, wenn z.B. ein Verwandter, der eigene Mann, die eigene Frau sterben würde und tot im Wohnzimmer liegt. Dem Tod eines völlig Fremden stehen wir distanziert gegenüber, aber jemand Bekanntes wird uns doch anders stimmen.

Der Tod ist unabdingbar und Shadowrunner leben bekanntlich immer auf dem Sprung, immer mit dem einen Fuß in Luzifers Kochtopf, immer in Gefahr, sich und anderen einen Abgang zu bescheren. Man tötet und wird getötet. Raubtiere unter den Leuchtreklamen der Megaplexe, die anscheinend keine Gefühle zu lassen. Wie wird sich ein Runner fühlen, der mit seinem besten Kumpel bei Renraku einsteigt, und er derjenige ist, der es überlebt hat, während sein Freund in einem sterilen Korridor der Arcologie verblutend auf dem Boden liegt und verzweifelt versucht sich die Gedärme wieder in die Bauchhöhle zu stopfen. Er wird bestimmt nicht, abends ein Faß aufmachen und feiern, seinen Ebbie ein bißchen erleichtern.
Ich schätze mal, er wird sich irgendwo betrinken und in sich gehen, und sich daran erinnern, daß er lediglich Glück gehabt hat. Er hätte ebenfalls dort liegen können, blutend und um Hilfe schreiend, den einzigen Gedanken im Kopf, daß die Hetzerei jetzt ein Ende hat. Er hat nur Glück gehabt, er stand auf der Seite der Gewinner. Er hat es geschafft, einen weiteren Tag unter Jägern und Beute zu erleben, bis zum nächsten Mal. Wenn er sich wieder in die Panzerjacke zwängt, seinen Manhunter durchlädt, seine Ausrüstung checkt und loszieht, um den Konzernen in den Arsch zu treten. Dann wird er wieder an seinen Freund denken. Der es nicht geschafft hat. Und er wird dankbar sein für die Tage, die er länger leben durfte.